Wer war Gertrud Bäumer?
Gertrud Bäumer – geboren am 12. September 1873 im westfälischen Hohenlimburg bei Hagen, gestorben am 25. März 1954 in Bethel bei Bielefeld.
„Läse man die Lexikon Eintragung nicht weiter, könnte man einen Lebenslauf vermuten, der eng mit Westfalen verknüpft war. Doch Gertrud Bäumer; die „Anwältin aller Frauenfragen“, wie sie genannt wurde, lebte nur vergleichsweise kurze Zeit in Westfalen. Sie fühlte sich zwar – vor allem im Alter – der Region ihrer Herkunft, der Region ihrer Vorfahren verbunden. Doch die Stationen ihrer außergewöhnlichen Karriere lagen in Magdeburg, Hamburg und vor allem in Berlin.
Gertrud Bäumer war das Älteste von drei Kindern der Eheleute Emil Bäumer und Luise Bäumer, geborene Schede. Ihr Vater war Pfarrer der reformierten Gemeinde in Hohenlimburg. Er entstammte einer traditionsreichen Pfarrersfamilie im märkischen Sauerland. Ebenfalls aus einer weitverzweigten südwestfälischen Pfarrersfamilie stammte ihre Mutter. Lange wohnten die Bäumers nicht in Hohenlimburg. 1876 wurde Emil Bäumer zum Kreisschulinspektor ernannt und nach Cammin in Pommern berufen. 1882 wurde er noch einmal versetzt, diesmal nach Mülheim a. d. Ruhr; ein Jahr später starb er dort im Alter von 36 Jahren. Die Mutter musste ihre drei Kinder nun allein versorgen, was mit einer dürftigen Witwenpension nur schwer möglich war. Sie zog mit ihren drei Kindern zunächst nach Halle, später nach Magdeburg. Dort fand sie eine Anstellung in einer Klinik und konnte damit den äußerst bescheidenen Lebensunterhalt ein wenig aufbessern. Die Einkünfte erlaubten es, dass ihre älteste Tochter Gertrud Bäumer die nicht gerade billige Oberschule besuchen konnte. Anschließend absolvierte Gertrud Bäumer eine Ausbildung zur Volksschullehrerin. Dies war einer der wenigen Berufe, die jungen Frauen ihrer Herkunft möglich waren. Mit 19 Jahren kehrte sie erstmals nach Westfalen zurück. Zwei Jahre unterrichtete sie an einer Volksschule in Kamen, bevor sie sich wieder nach Magdeburg, in die Nähe ihrer Mutter, versetzen ließ.
In der Industriestadt am Rande des Ruhrgebietes wie auch später in Magdeburg erfuhr sie hautnah die bittere Armut, in der viele ihrer Schüler leben mussten. Diese Erfahrungen – wie auch die Erfahrungen in der eigenen Familie – prägten die national eingestellte junge Lehrerin nachhaltig. Sie begann, sich für die „Sociale Frage“, wie es damals hieß, zu interessieren. Sie stieß auf die Schriften des liberalen Vordenkers Friedrich Naumann, der ihr politisches Denken nachhaltig prägen sollte. Ein besonderer sozialer Missstand wurde ihr schließlich zur Lebensaufgabe: die Benachteiligung der Frauen, vor allem in Fragen der Bildung und des Berufes. 1898 zog Gertrud Bäumer nach Berlin. Sie absolvierte ein Oberlehrerinnen-Examen und nahm als eine der ersten Frauen in Deutschland an der Berliner Universität ein Studium auf, das sie mit einer Doktorarbeit abschloss. Zu jener Zeit noch war Frauen nur dann ein Studium möglich, wenn jeder einzelne Professor eine ausdrückliche Studienerlaubnis erteilte. Diese Hürde sollte in Preußen erst 1908 fallen.
In Berlin lernte Gertrud Bäumer Helene Lange kennen, die damals herausragende Persönlichkeit der bürgerlichen Frauenbewegung. Gertrud Bäumer wurde eine enge Mitarbeiterin und tatkräftige Stütze Helene Langes, die an einer Augenkrankheit litt. Gemeinsam setzten sie sich für Frauenbildung und für die Berufstätigkeit der Frauen ein. Gertrud Bäumers Interesse und Hauptanliegen war die Reform der Mädchenbildung, die sie in kleineren Büchern und zahllosen Aufsätzen einforderte, vor allem in der von ihr herausgegebenen Zeitschrift „Die Frau – Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit“.
Früh schon wurde sie in den Vorstand des Dachverbandes, des „Bundes Deutscher Frauenvereine“ (BDF) gewählt, 1910 wurde sie zur Vorsitzenden des BDF gewählt, den sie bis 1919 leitete. Bis zur Auflösung des BDF 1933 blieb sie stellvertretende Vorsitzende. „Graue Eminenz“ wurde sie bisweilen genannt, doch Gertrud Bäumer zog sich keineswegs in den Hintergrund zurück, sondern blieb eine der prominenten und wichtigen Vertreterinnen der Frauenbewegung. Neben diesem Engagement wurde sie mehr und mehr auch parteipolitisch aktiv. Bereits in ihrer Magdeburger Zeit hatte sie den liberalen Politiker Friedrich Naumann persönlich kennengelernt und sich der liberalen „Fortschrittlichen Volkspartei“ (FVP) angeschlossen. Sie stieg rasch in die führenden Gremien der Partei auf und setzte sich auch hier vor allem für Frauenfragen ein. Zwar hielt sie sich beim Thema Frauenwahlrecht vorsichtig zurück, suchte aber zu erreichen, dass die FVP die politische Gleichberechtigung der Frauen in ihren Forderungskatalog aufnahm.
Im Kriegsjahr 1916 kehrte sie noch einmal zu ihrem ursprünglichen Beruf als Lehrerin zurück. Ein privater Hamburger Förderkreis errichtete eine „Soziale Frauenschule“. Gertrud Bäumer wurde berufen, die Schule einzurichten und zu leiten. Vier Jahre stand sie dieser Schule vor, bevor sie im Sommer 1920 ein hohes Staatsamt annahm: Der Reichsinnenminister und liberale Parteichef Koch-Weser berief Gertrud Bäumer zur Ministerialrätin im Innenministerium. Fast 13 Jahre lang leitete sie das Referat für Schule und Volkswohlfahrt. Gleichzeitig war Gertrud Bäumer Reichstagsabgeordnete für die Deutsche Demokratische Partei, der Nachfolgepartei der früheren FVP. Zwischen 1919 und 1932 ergriff sie im Reichstag vor allem dann das Wort, wenn Frauen-Themen debattiert wurden: Fragen der Familienrechtsreformen und des Unehelichenrechts beispielsweise, des Jugend- und des Mutterschutzes.
In den letzten Jahren der Weimarer Republik rückte Gertrud Bäumer politisch mehr und mehr nach rechts. Sie liebäugelte mit konservativen und nationalistischen Gruppierungen, sprach von der Verantwortung der Frauen „für den Aufstieg und Verfall der biologischen Wertigkeit“ und beklagte sich im August 1930 in einem Brief darüber, dass in der liberalen Partei eine „einseitig asphalt-demokratische Judenatmosphäre“ herrsche. Und 1933, nach dem Ende der Weimarer Demokratie, schrieb sie: „Im letzten Grunde ist es vollkommen gleichgültig, wie der Staat beschaffen ist, in dem heute die Frage der Einordnung der Frauen besteht: ob es ein parlamentarischer, ein demokratischer, ein faschistischer Staat ist. Immer wird die Grundforderung die gleiche sein, den Kultureinfluss der Frau zu voller innerer Entfaltung und freier sozialer Wirksamkeit zu bringen.“ So empörte es sie nicht, dass das NS-Regime den BDF auflöste.
Sieben Wochen nach der „Machtübernahme`‘ Hitlers wurde Gertrud Bäumer aus dem Reichsinnenministerium entlassen – „wegen Unzuverlässigkeit in der Frauenpolitik“, wie es offiziell hieß. Auch während der NS-Zeit konnte Gertrud Bäumer die Zeitschrift „Die Frau“ weiterhin herausgeben. Ihre darin veröffentlichten Artikel sorgten in den frühen Nachkriegsjahren für erhebliche Kritik, denn mehr als einmal hatte Gertrud Bäumer darin der Politik Hitlers applaudiert. Den Zweiten Weltkrieg beispielsweise hatte sie als „nationale Befreiungstat“ gelobt. Neben der Redaktion der Zeitschrift „Die Frau“, begann Gertrud Bäumen literarisch zu arbeiten. Zwischen 1934 und 1945 publizierte sie ein Dutzend Bücher, darunter Biographien über Dante und Rilke. Bis weit in die Kriegsjahre hinein sprach sie vor kleinen Zuhörerkreisen über historische, literarische und theologische Themen. „Geradezu makaber mutet dabei die Vorstellung an“, so ihre Biographin Barbara Greven-Aschoff, „wie die ‚Grande Dame’ der Frauenbewegung ihr Publikum mit Vorträgen über Dante, Goethe oder den Erzengel Michael in Bann schlägt vor dem Hintergrund der in Schutt und Asche fallenden Städte.“
In Bamberg, wohin es sie in den letzten Kriegsmonaten verschlagen hatte, schloss sie sich nach Kriegsende nicht den Liberalen an, sondern – für viele überraschend – den Gründerkreisen der CSU. Am Aufbau der bayrischen Partei war sie jedoch nicht federführend beteiligt, und auch den Aufbau neuer Frauenorganisationen verfolgte sie nur noch am Rande. In ihren letzten Lebensjahren bezog sie gemeinsam mit ihrer Schwester eine Wohnung in Bad Godesberg. Fünfeinhalb Jahre lebte sie dort, ehe die altersschwache kranke Frau in den Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel bei Bielefeld versorgt wurde.
Hier starb Gertrud Bäumer am 25. März 1954. Wenige Tage später wurde sie auf dem Bielefelder Waldfriedhof beigesetzt.
(Quelle: Strotdrees, Gisbert: Es gab nicht nur die Droste S. 114f.)